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Vom Bausatz zum perfekten Baby

Sie sehen aus wie echte Neugeborene, sind aber aus Plastik: Reborn-Puppen für Erwachsene

16.08.2011, 10:14
Gabriele Eisenrieder

Vom Bausatz zum perfekten Baby

Sie sehen aus wie echte Neugeborene, sind aber aus Plastik: Reborn-Puppen für Erwachsene

 
 
Emily Emmler wird beobachtet. Aus Kulleraugen, hinter dichten Wimpern hervor, aus den halbgeschlossenen Lidern eines müden Säuglings schauen sie zu, wie sie einen von ihnen erschafft. Sie gucken aus schönen alten Kinderwagen, Krippen und Sesseln auf Emily Emmler, die mit einer Lupe vor der Stirn am Wohnzimmer-Tisch sitzt, vor ihr Ärmchen, Beine und Köpfe. Konzentriert bemalt sie ein Köpfchen mit feinen Pinselstrichen.
 
 Emily Emmler teilt ihre Charlottenburger Wohnung mit ihrem Mann, ihrem Sohn und zwanzig Puppen, die aussehen wie echte Babys. "Reborn Babys", wiedergeborene Babys, nennt man sie, "Rebornerin" nennt sich Emily Emmler. Seit sechs Jahren fertigt die 50-Jährige die Puppen per Hand, die in den USA erfunden wurden und mittlerweile auch in Deutschland zum Trend werden. "Bei mir bestellen immer mehr Leute aus dem ganzen Bundesgebiet Babys", sagt Emily Emmler. Etwa eine Puppe schafft Emily Emmler in einer Woche, wenige sind für sie selbst, die meisten werden verkauft. Wobei das Wort "Verkauf" in der Sprache der Reborn-Kunden nicht vorkommen darf. Wer kauft schon ein Kind? Auf Emmlers Website ist deshalb von Adoption die Rede, geliefert wird nur gegen eine "Adoptionsgebühr" ab 450 Euro, inklusive Wechselkleidung und Windel.

Mit der Puppe zur Kur

Ihr fester Kundenstamm umfasst etwa 30 Frauen, die meisten von ihnen ab 40 Jahre aufwärts. Vor allem große Babys sind gefragt, die Eltern wollen für sie in den Babyabteilungen der Kaufhäuser einkaufen können. Die Haare - aus Baby-Mohairwolle, per Hand einzeln in den Kopf gestochen - sollen länger sein als bei Neugeborenen üblich. "Die Leute wollen die Kleinen richtig kämmen können." Am besten geht das mit einer Zahnbürste, wie sie es an Asher vormacht. Dazu hält sie den Jungen auf ihrem Schoß, stützt seinen Kopf und bürstet sanft seine braunen Haare. Wie bei einem echten Säugling. Der weiche, mit einem Gummi-Granulat befüllte Körper liegt natürlich in der Hand, das Gewicht ist das eines Babys.

Asher wird heute Nachmittag von Frau L. abgeholt. Für sie hat Emily Emmler ihn extra noch fertig gestellt, er soll mit zur Kur an die Nordsee fahren. "Da will ich die Babys natürlich vorzeigen, die Leute staunen immer ziemlich darüber, wie echt die aussehen", sagt Frau L. stolz. Sie hat zu Hause in Teltow 27 Reborns und Dutzende weitere Puppenmodelle. Allerdings sei sie "keine Irre", die mit Puppen im Kinderwagen durch die Gegend schiebt, wie sie betont. Mittlerweile wurde schon mehrmals über Reborn-Liebhaberinnen in den Medien berichtet und vor allem diejenigen Frauen dargestellt, für die der Unterschied zwischen Puppe und Kind verschwimmt. Diese Kundinnen seien allerdings die Ausnahme, wie Emily und Frau L.beteuern. Die meisten haben eigene Kinder und Enkel und eines gemeinsam: Sie waren mit Leib und Seele Mutter. So auch Frau L. Vor 32 Jahren bekam die Angestellte aus Teltow ihre Tochter und hätte gerne mehr Kinder gehabt. "Mein Mann wollte nur ein Kind, er hatte keine einfache Familie. Bei mir ist dieser Mutter- und Beschützerinstinkt immer noch so groß, auch wenn ich schon einen Enkel habe", sagt sie. Ihre Tochter hat einen zweijährigen Sohn, den man leider nicht so hübsch anziehen kann, wie Mädchen, bedauert Frau L. Dabei liebt sie es, winzige Jäckchen und Schühchen zu häkeln, wie für ihre Tochter damals. Die Babys haben ihren Platz im ehemaligen Kinderzimmer. "Die machen einfach glücklich", sagt sie.

Empty Nest Syndrom nennt man es in der Psychologie, wenn Eltern sich mit einer plötzlichen Leere konfrontiert sehen, wenn ihre Kinder ausgezogen sind. Es betrifft vor allem Frauen, weil die sich klassischerweise mehr der Kindererziehung gewidmet haben. Die Eltern stehen vor der Herausforderung, neue Lebensaufgaben zu suchen. Viele von Emilys Kundinnen finden sie in den Reborn-Babys, werden Sammlerin - und endlich wieder Mutter.

Emily  fasziniert an den Puppen vor allem die handwerkliche Leistung, sagt sie. Ein Rohling ist ein Set aus zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf ohne Augen und Haare in blassgelblicher Farbe. "Daraus etwas Lebensechtes zu zaubern, ist meine Herausforderung", sagt Emily, als sie Pinsel und Ölfarben auf dem Tisch anordnet. Mit Blau malt sie feine Adern auf Kopf und Arme, die Hautfarbe wird mit roter und gelber Farbe und einem Schwämmchen erreicht. Besonders wichtig sind Details wie Grießkörnchen auf der Nase oder Spuckefäden im Mundwinkel. Nach jedem Maldurchgang kommen die Teile für 8 min. in einen Ofen, damit die Farbe haltbar wird.

 

Auch das steht in Emilys Wohnzimmer. Das passt perfekt zu den Babys: Rosafarbene Tapete und Gardinen, kaum ein Möbelstück ohne Zierleiste. Die Kundinnen kommen gern hierher, auch um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Es ist der Treffpunkt für Puppen-Mütter und die perfekte Puppenstube. Menschen wirken hier fast wie Fremdkörper. So wie J., der zur offenen Terrassentür hereinstürmt, unter dem Arm den Fußball. Frau Emmlers elfjährigen Sohn interessieren die Puppen nicht besonders. Aber ihre zwanzigjährige Tochter Peggy kann mit den Puppen was anfangen. "Und mein Mann macht sein eigenes Ding mit seinen Computern, der ist sowieso meistens im Arbeitszimmer", sagt sie. Die Puppen sind ihr eigenes Ding. 2004 entdeckte sie sie im Irland-Urlaub, bestellte ein Jahr später den ersten Rohling.  Manche Menschen reagieren geschockt "Es sind doch nur Puppen", wiegelt sie ab. Eigentlich sind sie mehr. Für sie und für ihre Kunden ist es ein Lebensinhalt.